Zentrum für mathematisches Lernen Siegen

Beratung, Diagnostik und Therapie der Rechenschwäche / Dyskalkulie

Was ist "Qualitative Diagnostik"?

Nur eine qualitativ orientierte Diagnostik kann individuell ausgebildete falsche Rechentechniken differenziert aufdecken.

Gängige Methoden der Diagnostik von Rechenschwäche beruhen in der Regel auf einem Vergleich der individuellen Rechenleistungen mit den Anforderungen der jeweiligen mathematischen Aufgabe. So sind eine ganze Reihe von standardisierten Tests entwickelt worden. Diese Tests haben jedoch gerade im Hinblick auf die Qualifizierung individuell verschieden ausgebildeter Rechenfehler (»subjektive Algorithmen«) fast immer die Schwäche, dass bei ihnen in erster Linie nur das Ergebnis zählt!

Dabei ist es für die Aufdeckung und Behandlung von Rechenstörungen entscheidend zu klären, warum und auf welchem Rechenweg die fehlerhaften Ergebnisse (aber auch manch richtiges Ergebnis!) zustande gekommen sind. An Stelle dessen wird bei gängigen Testverfahren die Analyse der Fehler stark darauf eingegrenzt, die Menge der richtigen und falschen Ergebnisse zu ermitteln und die so gewonnene Quote an einem vorab feststehenden Auswertungsschlüssel zu messen.

Damit hat man dann im Ergebnis festgestellt, dass eine Rechenstörung vorliegt - welche falschen Rechenstrategien dahinter stecken, ist für die Aufarbeitung und Behandlung der individuellen Lerndefizite allerdings wesentlich wichtiger.

Überwinden lässt sich dieser Mangel

durch eine qualitative Fehleranalyse und eine qualitative Beurteilung der subjektiven Rechentechniken. Wir setzen dafür das im Lerntherapeutischen Zentrum Rechenschwäche / Dyskalkulie Köln (LZR) entwickelte Diagnostikverfahren ein und orientieren uns an dem von Michael Wehrmann im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Humboldt-Universität Berlin entwickeltem Verfahren Qualitative Diagnostik Rechenschwäche im Grundlagenbereich Arithmetik (QUADRIGA), das als Doktorarbeit vorliegt.

Das Aufgabenmaterial an unserem Institut umfasst - logisch aufbauend sortiert - alle Anforderungen an das mathematische Denken. Es wird sowohl als mündliche und schriftliche aber auch als Sachaufgabe dargeboten. Die qualitativen Fehleranalysen liefern vor allem in Kombination mit einer Anleitung des Probanden zum „lauten Denken" während der Diagnostik die notwendigen Informationen über die jeweils konkret vorliegenden subjektiven Rechenstrategien.

Aus den angewandten Rechentechniken und den subjektiven Algorithmen lassen sich – verglichen mit dem mathematisch gebotenen Vorgehen – Rückschlüsse auf das Verständnis mathematischer Inhalte und Operationen erzielen. Dadurch werden Lerndefizite (hier spezielle Wissensmängel um mathematische Abstraktionen sowie unlogische Verfahrenstechniken: Zählen statt Rechnen) sichtbar und die Systematik der Rechenfehler lässt sich aufschlüsseln und erklären.

Neben die Interview-Technik des „lauten Denkens“ treten noch die Verhaltensbeobachtungen von Mimik, Gestik und Körpersprache, die Rückschlüsse darüber zulassen, ob die Kommentare der Probanden die wirkliche Vorgehensweise treffen.

Dazu kommt die Methode,

die wir die „Beobachtung des konkreten Handelns mit mathematisch strukturierten Anschauungsmitteln“ nennen. Dahinter verbirgt sich eine Analyse der Handlungsweisen auf der konkret-handelnden Ebene. Rechenschwäche lässt sich häufig bereits auf der Handlungsebene als kontra-praktische Umgangsform mit strukturiertem Veranschaulichungsmaterialien nachweisen.

Auf diese Weise entsteht eine differenzierte qualitative Profilierung der Rechenschwäche, was für die Rechentherapie im Sinne der Prozessbegleitung von größter Bedeutung ist. Die Therapie kann damit gezielt dort ansetzen, wo die mathematischen Probleme des Probanden beginnen.

Damit gelingt es auch, die individuellen und oft verhärteten Kompensationsstrategien des Kindes zu erkennen und aus seiner Sicht nachzuvollziehen. Das Erkennen des individuellen lernpsychologischen Hintergrunds des Kindes ist wichtig für die Rechentherapie, denn damit werden die Lernblockaden des Kindes erklärbar und lösbar. Die Verständnislosigkeit des Kindes gegenüber Erklärungs- und Vermittlungsbemühungen kann so aufgebrochen und ein nachträgliches Verstehen der mathematischen Inhalte doch noch erreicht werden.

Eltern, LehrerInnen und MitarbeiterInnen von Beratungsstellen können im Vorfeld mit unserem Ratgeber erste Anhaltspunkte für eine mögliche Rechenschwäche sammeln.